Jahr für Jahr machen Tausende ausländische Studenten ihren Abschluss an einer österreichischen Universität. Doch fast die Hälfte verlässt unser Land nach unter einem Jahr wieder – angesichts des Mitarbeitermangels in vielen Firmen entgehen dem Standort damit zahlreiche Fachkräfte.
Trotz Konjunkturflaute und Auftragstiefs fehlt es an vielen Ecken und Enden weiter an Mitarbeitern. Mehr als 80 Prozent der österreichischen Firmen sind vom Fachkräftemangel betroffen, zeigt der neue Arbeitskräfteradar der Wirtschaftskammer. 193.000 Stellen österreichweit nicht besetztGesamt dürften derzeit österreichweit 193.000 Mitarbeiter fehlen, am stärksten drückt der Schuh in den Branchen Tourismus, Handwerk und Verkehr. Der Großteil der Stellenanzeigen zielt auf Personen mit Lehrabschluss ab. Zudem gibt mehr als die Hälfte der befragten Unternehmer an, gerne mehr Lehrlinge ausbilden zu wollen, auch um diese langfristig im Betrieb zu halten. Häufig scheitert es aber an geeigneten Bewerbern. Aber nicht nur unter Lehrlingen ist der Mangel groß, auch bei Uniabsolventen gehen der österreichischen Wirtschaft zahlreiche Talente durch die Lappen.Hier stechen vor allem die ausländischen Hochschulabgänger ins Auge, denn eine Sonderauswertung der Statistik Austria zeigt: Von den rund 16.000 internationalen Absolventen im Jahr 2020/21 verließ fast die Hälfte (46 Prozent) Österreich innerhalb von 12 Monaten wieder. Das sind wohlgemerkt jene, die in Österreich ein Studium abgeschlossen haben, Erasmus-Studenten, die naturgemäß nach ihrer Zeit wieder die Zelte abbrechen, fallen nicht darunter.Dem Gesundheitssektor entgehen besonders viele AkademikerUnter den Absolventen ist vor allem bei Fächern wie Naturwissenschaften, Gesundheit oder Wirtschaft und Recht der Abgang hoch. Über 50 Prozent der Studenten naturwissenschaftlicher Fächer verlassen das Land in unter einem Jahr nach dem Diplom wieder (siehe Grafik). Ähnlich ist es bei Studenten aus dem Sektor Gesundheit und Sozialwesen, wo ebenfalls 51 Prozent binnen eines Jahres in ihre Heimat zurückkehren. Weniger stark ist der Abgang bei Pädagogik und Informatik, wo nur zwischen 30 und 40 Prozent binnen eines Jahres wieder wegziehen.Bei den Herkunftsländern zeigt sich, dass vor allem Studenten von außerhalb Europa meist wieder Österreich verlassen, längerfristig hier bleiben hingegen Menschen aus europäischen Drittstaaten (z. B. am Westbalkan). Häufige Gründe, warum man dem Uni-Standort wieder den Rücken kehrt, sind einerseits sprachliche und kulturelle Barrieren, andererseits aber auch zu wenige Perspektiven. Die Wirtschaftskammer fordert daher, dass Potenziale am österreichischen Arbeitsmarkt besser aufgezeigt werden.34.000 Fachkräfte zusätzlich bis 2040Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf rechnet vor: „Wenn es uns gelingt, dieses bisher vergessene Potenzial gezielt anzusprechen und jährlich 2000 Absolventen zusätzlich fürs Bleiben und Arbeiten in Österreich zu begeistern, könnten wir bis 2040 insgesamt 34.000 zusätzliche Fachkräfte gewinnen."Auch wirtschaftlich hätte das Auswirkungen. Ausbildungen auf Hochschulen kosten dem Staat jährlich sehr viel Geld, dass dann aber von gutverdienenden Akademikern wieder zurückfließen soll. Wenn Studenten nach dem Abschluss Österreich wieder zahlreich verlassen, steigt die öffentliche Hand nicht gut aus.Der Mangel an Mitarbeitern wirkt sich bereits unmittelbar auf die Firmen aus. Rund 80 Prozent der Unternehmenschefs sehen wegen des Mangels Zusatzbelastungen für sich und die Beschäftigten. Zudem erhöhen sich die Kosten für die Personalsuche. Trotz Wirtschaftsflaute geben weiterhin 56 Prozent an, dass sie wegen des Fachkräftemangels Aufträge nicht annehmen können, Umsatzeinbußen sind die Folge.Unternehmer wünschen sich mehr Anreize für ArbeitRezepte gegen den Mangel gibt es laut Wirtschaftskammer viele. Die meisten Unternehmer wünschen sich mehr Anreize für Arbeitslose, eine Beschäftigung anzunehmen und eine Attraktivierung von Vollzeit. Sieben von zehn Unternehmer sind zudem für eine Verbesserung der Lehrlingsausbildung.Karlheinz Kopf appelliert: „Wir müssen den Trend zu immer weniger Arbeit dringend stoppen und umkehren.“ Zwei Drittel der Unternehmer geben sogar an, dass sich der Mangel aus ihrer Sicht sogar in den nächsten Jahren verschärfen wird. Geburtenstarke Jahrgänge gehen nach und nach in Pension, das Gleichgewicht am Arbeitsmarkt ist in Gefahr.